Die Rettung von Tieren nebst ihrer Pflege und der Vermittlung an einen neuen Halter ist für Tierschutzorganisationen in zivilisierten Gesellschaften nach wie vor eine Herausforderung. Man stelle sich nun einmal vor, einer solchen Tätigkeit an einem der gefährlichsten und unwirtlichsten Orte der Welt nachzugehen. Ländliche Umgebung und ständige Gefahr heißt nicht, dass es keine streunenden Tiere gibt – im Gegenteil. In Afghanistan passiert genau das, und es scheint zu funktionieren. Der Beginn einer wirklich außergewöhnlichen Freundschaft.
Exklusivinterview mit Pen Farthing über eine wirklich vollendete Mission.
Ihre Geschichte und Nowzad Dogs nahmen vor einigen Jahren ihren Anfang, als Sie nach Afghanistan entsendet wurden. Was genau ist damals passiert, und wie haben Sie diesen Hund getroffen, der den ganzen Stein ins Rollen gebracht hat?
2006 war ich in der Stadt Now Zad für das königliche Marinekommando am Fluss Helmand stationiert. Als wir von einer Patrouille außerhalb unserer vorgeschobenen Operationsbasis zurückkamen, stießen wir auf die afghanische Polizei, die gerade einen organisierten Hundekampf austrug.
Meine Aufgabe in Afghanistan bestand nicht darin, bei Tierquälerei untätig zuzusehen. Also griff ich in den Kampf ein und stoppte ihn. Einer der Hunde rannte dann auf unser Gelände, um Unterschlupf zu suchen und sich zu verstecken.
Als ich ihn fand, versuchte ich, ihn mit alten Soldatenkeksen aus seinem Versteck zu locken. Von da an betrachtete er mich als seinen Freund, und nach einigen Tagen waren wir praktisch unzertrennlich. Ich gab ihm daraufhin den Namen Nowzad. Denn er war genauso mitgenommen und vom Krieg geprägt wie die Stadt, um die wir kämpften. Nowzad war dann gewissermaßen meine tägliche Ruhepause, in der ich mich entspannen und Abstand vom Kriegsalltag in Afghanistan bekommen konnte. Nachdem ich meine Mission in Afghanistan erfüllt und viel Zeit mit dem Hund verbracht hatte, wurde mir klar, dass ich ihn nicht zurücklassen konnte. Also fasste ich den Plan, ihn von Afghanistan nach England mitzunehmen.
Was bedeutet „Nowzad“ eigentlich genau?
Nowzad ist persisch und heißt Neugeborenes.
Wie schwierig war das, Ihren Hund Nowzad schließlich mit ins Vereinigte Königreich zu nehmen?
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte noch niemand einen Hund von Afghanistan nach England transportiert. Zunächst mal mussten wir ihn nach Kabul schmuggeln, zumal die Armee einen solchen Transport nicht gutgeheißen hätte. Anschließend wurde er von Kabul nach London in Quarantäne gebracht. Das alles dauerte mehrere Monate und kostete viel Geld.
Wissen Sie, wie viele Hunde im Laufe der Jahre von Soldaten adoptiert wurden, die wieder zurück ins Vereinigte Königreich gingen?
Als Wohltätigkeitsorganisation hat Nowzad Dogs inzwischen über 650 Soldaten aus dem Vereinigten Königreich, den USA, Kanada, den Niederlanden, Italien, Australien und Südafrika geholfen, die Hunde (oder Katzen) mitzunehmen, mit denen sie sich bei ihren Einsätzen in Afghanistan angefreundet hatten.
Dass sich Marineangehörige und Soldaten mit streunenden Tieren anfreunden, scheint wohl normal zu sein. Doch was macht diese Freundschaften so bedeutsam, dass die Menschen alle Hebel in Bewegung setzen, um die Tiere nach Ende ihrer Mission mit in die Heimat zu nehmen?
Die Hunde geben den Soldaten etwas, was sie im Krieg vergeblich suchen: ein Stück Normalität und die Flucht aus dieser surrealen Welt, in der sie sich befinden. Die Soldaten kommen dadurch viel besser mit dem täglichen Stress klar. Die Tiere nach Abschluss der Mission einfach zurückzulassen, kommt für sie nicht infrage.
Wie sieht die Lage für die Hunde in Afghanistan aus? Ist das Wohlergehen der Tiere für die Gesellschaft überhaupt ein Thema?
Für die Menschen in Afghanistan ist das Leben ein ständiger Kampf. Man hat dort andere Sorgen, als sich um streunende Hunde und Katzen zu kümmern. Doch was wir machen, verbreitet sich inzwischen wie ein Lauffeuer. Derzeit bringen uns viele Afghanen verletzte Tiere, die sie gefunden haben. In unserer Klinik in Kabul arbeiten vier Afghanen. Diese haben wir als Tierärzte ausgebildet, die kleine Operationen durchführen können. Unser Kernanliegen besteht darin, die Population streunender Hunde in humaner Weise zu senken und hoffentlich die Tollwut in den Griff zu bekommen.
Welche Schwierigkeiten hatten Sie, als Sie vor Ort ein Heim für streunende und ausgesetzte Hunde und Katzen eröffneten?
Das Heim zu eröffnen, war noch das einfachste. Wirklich schwierig ist die Finanzierung. Wir überleben nur dank der großzügigen Spenden zahlreicher Hundeliebhaber.
Und natürlich müssen wir uns gegen die konstante Bedrohung durch die Taliban wappnen, die ständig versuchen, das alltägliche Leben in den Straßen von Kabul zu stören.
Können Sie uns noch einige wichtige und interessante Begebenheiten über die Tätigkeit von Nowzad Dogs in Afghanistan erzählen? Und wie finden Sie ein neues Heim für diese Tiere?
Uns erstaunt immer wieder, wie anhänglich die Hunde sind, die zu uns kommen. Und das obwohl sie in schlimmster Weise gepeinigt wurden, weil sie einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Vor kurzem kam „Noel“ zu uns, ein schöner schwarz-weißer Hund, der am Weihnachtstag von einem Auto überfahren wurde und dabei einen komplizierten Beinbruch erlitt. Wir hatten leider keine Wahl und mussten das verletzte Bein amputieren. Doch Noel ließ sich nicht unterkriegen und ist für sein Leben gerne mit Menschen zusammen!
Erwähnenswert ist auch die Geschichte von Private Conrad Lewis von der britischen Armee, der sich um eine Hündin namens Peg kümmerte. Wann immer Conrad seinen Angehörigen Briefe schrieb, erzählte er von Peg und wie sie ihm half, mit der Stresssituation in Afghanistan besser fertig zu werden. Bedauerlicherweise wurde Conrad von den Taliban getötet, doch seine Eltern fragten uns unmittelbar darauf, ob wir Peg nicht retten und sie nach England bringen konnten. Auch wenn es eine logistische Herausforderung war, ist Peg inzwischen ein nicht mehr wegzudenkendes Mitglied der Familie Lewis hier in England.
Sie haben diese Geschehnisse in zwei Büchern detailliert niedergeschrieben, und soeben ist das Dritte erschienen. Um welchen Aspekt geht es in diesen Büchern?
One Dog at a Time erzählt die Geschichte von Nowzad und wie ich ihn fand und schließlich nach England brachte.
No Place like Home beschreibt, wie sich Nowzad in England einlebte und ich schließlich begann, in Afghanistan ein Tierheim zu eröffnen.
Das neue Buch erscheint am 11. September und erzählt die unglaubliche Geschichte von Wylie, einem Hund, der in Afghanistan schreckliche Grausamkeiten erdulden musste und dennoch überlebte und bei der Crufts-Ausstellung 2014 zum „Scruffts Family Crossbreed of the Year“ ernannt wurde.
Diese unglaubliche, bewegende Begebenheit ist tragisch und ermutigend zugleich. Ihr Held ist ein Hund, der niemals die Hoffnung aufgab.
Welches sind Ihre Zukunftspläne in Bezug auf Nowzad Dogs?
Ich möchte den Tierschutz in Afghanistan weiter voranbringen und fördern, über die Gefahren der Tollwut aufklären und die Population streunender Hunde in humaner Weise senken. Wir hoffen, dass wir eines Tages in ganz Kabul Tierauffangstationen haben werden, die die dringend erforderliche Versorgung der Tiere gewährleisten.
Doch hierzu benötigen wir Spenden und Unterstützung. Wir sind sehr dankbar für die Möglichkeit, über diesen Artikel auf unsere Arbeit aufmerksam zu machen. Ganz herzlichen Dank dafür!
http://www.nowzad.com
Interview: Attila Marton